Auf Wagners Spuren: Camilla Nylund singt die „Wesendonck-Lieder“

© Shirley Suarez Photography
Sie sind keine Oper – und dennoch führen sie direkt ins Zentrum von Wagners Kosmos: jene fünf Lieder, die der in vielerlei Hinsicht umtriebige Komponist 1857 auf Worte seiner Geliebten Mathilde Wesendonck schrieb. Camilla Nylund, eine der gefragtesten Wagner-Sängerinnen der Gegenwart, wird sie im Rahmen des Musikverein Festivals „Claras Blumenalbum“ zur Aufführung bringen.

Von Markus Siber

24.02.2025

Seit Interviews vermehrt in virtuellen Räumen stattfinden, ist der Ort, an dem sich die jeweiligen Gesprächspartner tatsächlich aufhalten, zumeist unerheblich. Gelegentlich spielt Geografie noch herein, wenn bei der Wahl eines geeigneten Termins Zeitzonen Berücksichtigung finden müssen – für den Inhalt des Gesprächs hat das aber in der Regel keine Relevanz. Beim aktuellen Interview mit Camilla Nylund, die im März im Großen Musikvereinssaal Wagners „Wesendonck-Lieder“ singen wird, leitet der mögliche Aufenthaltsort der Künstlerin jedoch direkt zum Thema über. Wird sie ihren Laptop in Zürich aufklappen, wo sie gerade in einer Serie von Wagners „Fliegendem Holländer“ die Rolle der Senta singt, oder hat sie die wenigen vorstellungsfreien Tage für einen Rückzug in ihre Wahlheimat Dresden genutzt, die sie vor gut 25 Jahren als Basisstation ihrer internationalen Karriere gewählt hat?
Es sollte schließlich Dresden werden. Doch genaugenommen sind es beide Städte, die sich als Einstieg in das Interview mit der Sängerin, die mit Wagner bis dato ihre vielleicht größten Erfolge gefeiert hat, regelrecht aufdrängen. Dresden und Zürich gelten nicht nur als wichtige Wirkungsstätten Richard Wagners, sie öffnen auch den Raum, der für die „Wesendonck-Lieder“ so entscheidend werden sollte. An der Elbe verbrachte der Komponist mit dem Universalanspruch einen Teil seiner Kindheit, ab 1842 dirigierte er am Dresdner Hoftheater die Uraufführungen seiner Opern „Rienzi“, „Der fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“ – letztere bereits als Königlich-Sächsischer Hofkapellmeister. Doch sein politisches Engagement im niedergeschlagenen Maiaufstand des Jahres 1849 sollte ihm zum Verhängnis werden.

Steckbrieflich gesucht, musste er mit seiner Frau Minna nach Zürich fliehen, wo die Wagners bald das Ehepaar Wesendonck kennenlernten. Eine sich zwischen der kunstsinnigen Unternehmergattin und dem erfolgreichen Komponisten entfachende Affäre erhitzte sich noch, als die Wagners in einem Nebenhaus der neu gebauten Villa Wesendonck, das fortan unter dem Namen „Asyl“ firmierte, Logis bekamen. Der Rest ist Musikgeschichte: Die Vertonungen von Mathilde Wesendoncks Gedichten sollten in „Tristan und Isolde“ weiterwirken.
„Das Territorium, das Wagner zwischen Dresden und Zürich abgesteckt hat, kenne ich mittlerweile recht gut“, sagt Camilla Nylund lachend, „gerade für meine Karriere als Wagner-Sängerin nimmt Zürich, wo ich ja auch mehrmals den ‚Ring‘ gesungen habe, eine wichtige Rolle ein. Aber natürlich kann man meine regelmäßigen Reisen nicht mit der beschwerlichen und ungewissen Flucht Wagners vergleichen. In beiden Städten spüre ich jedoch die Anwesenheit dieses großen Komponisten. Da und dort rufen teils berührende Gedenkstätten in Erinnerung, welche Wege er in einer persönlich und auch politisch aufwühlenden Zeit genommen hat.“ Auch die Villa Wesendonck, die heute in adaptierter und erweiterter Form ein Museum für Kunst aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien beheimatet, kennt Camilla Nylund aus nächster Nähe: „Es geht einem schon zu Herzen, wenn man die konkreten Rahmenbedingungen der Entstehung eines Musikstücks so anschaulich nachvollziehen kann wie in diesem Fall, sich vorstellt, wie Richard Wagner als ‚Dämmermann‘, wie er in Mathildes Erinnerungen genannt wird, am späten Nachmittag durch den Garten huscht, um seiner Angebeteten am Klavier vorzuspielen, was er frisch komponiert hat. Bisweilen kann man da schon Gänsehaut bekommen.“

© Julia Wesely

Für Camilla Nylund sind die „Wesendonck-Lieder“ der perfekte Einstieg in die Welt Wagners. Und sie muss es wissen. Denn seit mehr als zwanzig Jahren hat sie die wichtigsten Rollen für ihre Stimme interpretiert: „Diese kostbaren Lieder sind ganz besonders jenen ans Herz zu legen, die in die magische Welt Wagners hineinschnuppern wollen, aber vielleicht nicht das Sitzfleisch für die großen abendfüllenden Opern haben. Immer, wenn ich sie singe, denke ich mir: dieses Motiv kenne ich von da, dieses von dort.“ Und natürlich ist es die gefährlich lodernde Liebe, die weit in das Reich Wagners hineinführt: „Menschliche Beziehungen können ja schon grundsätzlich sehr aufwühlend sein, bei Wagner spitzt sich die Liebe aber vielfach bedrohlich zu.“
Ihr Bühnenleben in oftmals verzwickten Situationen hat ihr psychologisches Interesse an Zwischenmenschlichkeit ganz allgemein gesteigert: „Ich finde es faszinierend, wie viele Begegnungen wir im Laufe eines Lebens als Menschen haben. Manchen Personen steht man näher, an anderen läuft man vorbei, manchmal, wie bei Richard Wagner und Mathilde Wesendonck, entzündet sich etwas, das aufgrund von äußeren Umständen dann aber doch wieder verglühen muss.“ Auch Liederabende mit Werken von Clara und Robert Schumann sowie Alma und Gustav Mahler zeugen von ihrem Interesse am Wechselspiel zwischen Frau und Mann

„Es fasziniert mich, wie viele Begegnungen wir im Laufe eines Lebens als Menschen haben. Manchen Personen steht man näher, an anderen läuft man vorbei, manchmal, wie bei Richard Wagner und Mathilde Wesendonck, entzündet sich etwas, das aufgrund von äußeren Umständen dann aber doch wieder verglühen muss.“

Camilla Nylund

Mit solchen Initiativen hebt Camilla Nylund zwar ganz bewusst wichtige Komponistinnen vor den Vorhang, als Verfechterin von Quoten im nach wie vor von Männern dominierten Klassikbetrieb sieht sie sich allerdings nicht: „Ich denke darüber eigentlich nicht viel nach. Ich liebe es, mit Frauen zu arbeiten, aber ich liebe es genauso, mit Männern zu arbeiten. Es geht doch um die Musik. Und da ist es vor allem wichtig, dass man auf einer gemeinsamen Wellenlänge ist und das Gefühl hat, sich zu verstehen. Am schönsten ist es natürlich, wenn man nicht viele Worte braucht, sondern sich sozusagen blind versteht und im Zusammenspiel gemeinsam etwas Unwiederbringliches schafft. Das ist der schönste Moment – und da ist es egal, ob du ein Mann oder eine Frau bist.“
Der nächste künstlerische Partner, auf den Camilla Nylund im Musikverein treffen wird, ist ein Mann. Adam Fischer, mit dem sie eine mehrmalige Wagner-Zusammenarbeit in Budapest verbindet, wird am Pult der Wiener Symphoniker die „Wesendonck-Lieder“ dirigieren sowie Gabriel Faurés „Pelléas et Mélisande“ und Ludwig van Beethovens Sechste Symphonie.
„Adam ist ein fantastischer Mensch und Musiker“, sagt Nylund. Bei ihm läuft alles auf die Aufführung hin, das entspricht mir sehr. Proben sind natürlich wichtig, damit alles am Schnürchen laufen kann, aber sie sollen niemals zum Selbstzweck werden. Erst in der Aufführung kann sich der Adrenalinspiegel heben und es zu den magischen Momenten kommen, die Musik ausmachen.“

Mittwoch, 12. März 2025
Donnerstag, 13. März 2025

Wiener Symphoniker
Adam Fischer | Dirigent
Camilla Nylund | Sopran

Gabriel Fauré
Pelléas und Mélisande. Suite für Orchester, op. 80
Richard Wagner
Fünf Lieder nach Gedichten von Mathilde Wesendonck, WWV 91
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 6 F-Dur, op. 68, „Sinfonia pastorale“

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