„Was machen Sie, wenn Sie mal keinen so guten Tag haben?“: Jugendliche zu Gast im Musikverein

© Julia Wesely
Zu den vielen schönen Traditionen im Musikverein zählen die Generalprobenbesuche mit anschließenden Künstler:innengesprächen für Schulklassen. Mit Saisonbeginn wurde dieses Angebot um eine Facette bereichert: Das Projekt „Backstage | Onstage“ ermöglicht Jugendlichen, den Musiker:innen bereits vor der Probe zu begegnen und ihre Fragen zu stellen.

Von Theresa Steininger

02.02.2025

„Wann haben Sie mit dem Klavierspiel und dem Dirigieren begonnen?“ – „Wie bereiten Sie sich auf ein Konzert
vor?“ – „Was inspiriert Sie?“ Aber auch: „Was machen Sie, wenn Sie mal keinen so guten Tag haben?“ oder „Welche Musik hören Sie privat?“ – Es sind Fragen wie diese, die Jugendliche an einem Vormittag im Oktober in das Mi­krophon sprechen. Sie sind in den Brahms-Saal gekommen, wo sie vor einer Generalprobe der Wiener Symphoniker mit der Dirigentin Elim Chan und dem Solisten Seong-Jin Cho zusammentreffen dürfen und diese auf das eingehen, wofür die jungen Leute in ihren Wortmeldungen Interesse zeigen.

Während es Generalprobenbesuche und anschließende Gespräche mit Mitwirkenden für Schüler:innen im Musikverein schon lange gibt, kamen zuletzt Vorab-Gespräche dazu, die noch tiefer in die Materie eintauchen lassen. Unter dem Titel „Backstage | Onstage“ können die Jugendlichen nicht nur kostenlos beim letzten Durchlauf vor dem Konzert dabei sein, sondern eben bereits vorab auch Künstler:innen ihre Fragen stellen. Über den Live-Genuss von Musik in einem besonderen Ambiente hinausgehend, soll es auch darum gehen, „die Menschen dahinter kennenzulernen“, wie Robin Prischink sagt. Er ist Mitarbeiter für Musikvermittlung und Kulturelle Teilhabe im Musikverein und hat die Schulklassen begrüßt und zu Fragen ermutigt – auf dass sie durch den direkten Kontakt Hintergrundinformationen erhalten und sich die Begeisterung der Kreativen hoffentlich überträgt. „Gerade, wenn man sieht, welche Leidenschaft jemand wie unsere Gesprächspartner und -partnerinnen für Musik hat, kann das leicht auf die Jugendlichen überspringen. Es macht etwas mit jenen, die zuhören, wenn ein anderer oder eine andere darüber erzählt, wofür er oder sie brennt.“
Dabei versucht Robin Prischink immer, Dirigent:innen oder Solist:innen für die Gespräche zu gewinnen, neben Elim Chan und Seong-Jin Cho zuletzt auch die Dirigentin Marie Jacquot. „Für sie alle ist das in ihrem dichten Kalender natürlich eine besondere Herausforderung – und für uns eine große Ehre, wenn sie sich die Zeit nehmen“, sagt er. „Wir hatten außerdem schon Orchestermusikerinnen und -musiker, die aus dem Nähkästchen plauderten, das war auch sehr interessant. Uns geht es darum, dass die Schülerinnen und Schüler einen noch unmittelbareren Kontakt mit der klassischen Musik bekommen – und die Möglichkeit haben, sich danach zu erkundigen, was sie an Hintergründen interessiert.“ Bei den Künstler:innen findet der Musikvermittler oft ein offenes Ohr für seine Anfrage: „Es ist ihnen selbst ein Anliegen, mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen und darüber zu sprechen, was ihnen in ihrer Arbeit wichtig ist.“

© Julia Wesely

Zu „Backstage | Onstage“ kommen einerseits Schulklassen, die schon öfter in Konzerten und Generalproben waren, und andererseits solche, die überhaupt erstmals in den Musikverein eintreten. Die Besuche sind für Jugendliche ab der neunten Schulstufe gedacht. Die Lehrer:innen werden schon vorab mit Informationsmaterial versorgt, damit sie ihre Schüler:innen optimal auf den Probenbesuch und das Gespräch vorbereiten können.
In den Gesprächen an beiden Probenvormittagen – mit Elim Chan und Seong-Jin Cho einerseits und mit Marie Jacquot andererseits – folgt dann rasch Frage auf Frage. Häufig erkundigen sich die Jugendlichen danach, welche Musik die Gesprächspartner:innen privat hören, wie sie zu ihrem Beruf in der Klassikbranche gekommen sind, wo die Herausforderungen liegen und wie ihr Alltag aussieht. Marie Jacquot erzählt, wie sie als Kind und Jugendliche Pop der Klassik vorzog und das Radio abdrehte, wenn ihr Vater Klassisches eingeschaltet hatte. Schließlich war es „ein Batman-Arrangement, das ein Posaunist spielte, das mich für dieses Instrument begeisterte, obwohl ich nicht einmal wusste, wie es heißt“. Dass sie danach Posaune lernen wollte, war der Anfang ihrer Karriere in der Klassikwelt. „Und auch später, als ich eine Dirigierklasse startete, hat mich das Leben auf einen Weg geführt, den ich nie erwartet hätte.“ Mit einem auffordernden Lächeln sagt Jacquot: „Wenn wir jung sind, haben wir manchmal Vorurteile. Ich bin glücklich, dass ich neugierig geblieben bin.“ Dass sie privat auch Heavy Metal und Techno hört, sei für sie selbstverständlich: „Die verschiedensten Stile haben Einfluss darauf, wie ich arbeite – und während Jazz mich frei werden lässt, hilft mir Rap beispielsweise, den Fluss der Sprache genauer zu beachten.“
Bei einer der nächsten Fragen braucht ein Schüler sichtlich ein wenig Überwindung, erkundigt sich dann aber doch: „Wie viel verdienen Sie?“ Auch hier gibt Marie Jacquot detailliert Auskunft und zieht einen interessanten Vergleich: „Ein Dirigent ist ein wenig wie ein Kunstwerk – der Wert wird auch davon bestimmt, was jemand bereit ist zu zahlen.“

Im Gespräch mit Elim Chan und Seong-Jin Cho zeigen sich die Jugendlichen auch interessiert daran, wie lange pro Tag die Dirigentin und der Pianist sich auf Konzerte vorbereiten, welche Instrumente sie (sonst) spielen und wieso sie sich gerade für diese Laufbahn entschieden haben. Bereitwillig beantworten die beide alles, und Elim Chan fügt hinzu: „Dirigieren ist das Verrückteste, was man tun kann, aber auch das Erfüllendste.“
Danach gefragt, wie sie sich als weibliche Dirigentin fühlt, meint Elim Chan: „Am Anfang war es nicht so einfach, weil ich auch noch klein bin und manche Musiker sich den Spaß machten zu sagen ,Ich kann Sie gar nicht sehen‘. Aber ich wollte immer die Erwartungen übertreffen. Und nach einiger Zeit war es gar kein Thema mehr.“ Auch Marie Jacquot sieht sich bei ihrer Fragerunde einen Monat später mit derselben Frage konfrontiert – und sagt: „Ich habe es nie zugelassen, dass in meinem Umfeld Vorurteile aufkamen.“ Sie gibt den Jugendlichen den Tipp: „Das Wichtigste ist, dass du du selbst bleibst. Denn es ist wichtig, wer du bist, und nicht, was du bist.“ – und erntet spontanen Applaus dafür.

Ein weiterer Impuls, den die Schüler:innen für ihren Alltag mitnehmen können, folgt auf die Frage nach dem Umgang mit Motivationstiefs: „Wenn ich einen schlechten Tag habe, versuche ich nicht daran zu denken“, sagt Seong-Jin Cho, während Elim Chan findet: „Gerade die schlechten Tage helfen der Musik. Denn wenn man sich nicht optimal fühlt, übernimmt die Emotion, und man denkt weniger nach. Davon habe ich schon profitiert.“ Und Marie Jacquot beschreibt: „Ja, manchmal habe ich gar keine Lust, wir sind alle Menschen. Aber wenn ich dann an einen Ort wie Wien komme, gibt mir das Orchester neue Kraft und Energie“ – und schwärmt vom Klang der hiesigen Orchester.
Diesen dürfen die Schüler:innen nach der Fragerunde auch selbst erleben, denn nun geht es nach nebenan in den Großen Musikvereinssaal, in dem die Musiker:innen der Wiener Symphoniker bereits Platz genommen haben. Die Jugendlichen wurden zuvor noch gebrieft, bitte still zu sein, damit sich die Orchestermitglieder konzentrieren können – und die Lehrer:innen wachen mit Bedacht darüber, dass dies auch eingehalten wird. „Er spielt sogar ohne Noten“, flüstert ein Schüler bei der Probe mit Elim Chan und Seong-Jin Cho dem Professor noch beeindruckt zu, dann wird gelauscht. Die Dirigentin hat nach dem Durchlauf des ersten Teils noch ein paar Korrekturen für den Solisten und das Orchester, dann treten die Schüler:innen den Rückweg in die Schule an. „Ach schade, jetzt schon“, hört man einen murren. Und ein anderer sagt beim Hinausgehen ganz aufgeregt zu seinem Freund: „Glaubst du, die lassen mich da auch mal mitspielen …?“

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