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Schönberg 150. Geburtstag

Mit Arnold Schönberg assoziiert man heute allzu gerne den Skandal. Gemeint ist das berühmte „Watschenkonzert“ im Großen Musikvereinssaal am 31. März 1913. Doch dies war keineswegs der einzige Aufruhr und auch nicht sein einziger Auftritt im Musikverein. Einige Streiflichter auf dem Weg zum Skandal liefert Archivdirektor Johannes Prominczel.

© Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien

Er war mit vielen Talenten gesegnet, dieser Arnold Schönberg. Er verfasste Libretti und Texte zu zahlreichen Chören, neben seinen musiktheoretischen Schriften befasste er sich auch mit politischen Fragen und schrieb das Drama „Der biblische Weg“. Er entwickelte eine Notenschreibmaschine und erfand die Schachvariante „Koalitionsschach“, designte Spielkarten und entwarf Möbelstücke. In seinem bildnerischen OEuvre finden sich nicht nur 50 Selbstporträts, sondern auch Kritzeleien, die er während einer offensichtlich wenig unterhaltsamen Senatssitzung 1929 angefertigt hatte und die heute in den Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde aufbewahrt werden. Ferner besitzen wir knapp 70 Briefe des Komponisten und einige kleinere Musikautographe, zumeist Albumblätter. Ein überschaubarer Bestand, der nicht ansatzweise widerspiegelt, was sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Wien – auch im Musikverein – abgespielt hat. 

Schönberg wurde 1874 in Wien geboren. Nach dem Tod des Vaters 1891 musste er die Schule abbrechen und begann in einer Bank zu arbeiten, eine Tätigkeit, die ihm widerstrebte. Als das Geldinstitut in Konkurs ging, beschloss er zum Leidwesen seiner Familie, Komponist zu werden. Ab jener Zeit hielt sich Schönberg mit der Leitung diverser Arbeiterchöre über Wasser. Wegweisend sollte sich seine Mitwirkung an der Polyhymnia, einem Dilettantenorchester, erweisen. Als Leiter fungierte kein Geringerer als Alexander Zemlinsky, der eben das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde abgeschlossen hatte und Schönberg in den folgenden Jahren stark prägen sollte. Frühe Kompositionen wie sein D-Dur-Streichquartett oder eine Reihe um 1900 entstandener Lieder sind einer spätromantischen Tonsprache verpflichtet. Dies zeigt sich auch bei dem im Kleinen Musikvereinssaal im März 1902 uraufgeführten Streichsextett „Verklärte Nacht“. Das Werk, eine programmatische Abbildung des gleichnamigen Gedichts von Richard Dehmel, wurde ambivalent aufgenommen. Die Kritik lobte die „tüchtige Arbeit“ und den „schönen Klang“ (Deutsches Volksblatt), sprach allerdings auch von der Unmöglichkeit, die vom Komponisten geschilderten Vorgänge zu enträtseln, zumal den Zuhörern der Text nicht vorlag. Zudem prophezeite man, es werde „den Konservativen Pein bereiten“ (Ostdeutsche Rundschau). „Gleichwohl ist Schönberg ein talentirter Mensch. Das hat er vor vier Jahren bewiesen, da er mit einem Normal-Quartett den besten Eindruck hinterließ“ (Neues Wiener Tagblatt). 

Diese Konzertreihe wird in der Saison 2024/25 mit den im Musikverein uraufgeführten „Gurre-Liedern“ abgeschlossen: am 13. September 2024, dem Tag, an dem Arnold Schönberg seinen 150. Geburtstag gefeiert hätte.

Von 1901 bis 1903 wirkte Schönberg, inzwischen mit der Schwester Zemlinskys verheiratet, in Berlin, arbeitete als Kapellmeister für das Kabarett und erhielt auf Fürsprache von Richard Strauss eine Dozentenstelle am Stern’schen Konservatorium. 1905 folgte die nächste Uraufführung Schönbergs im Musikverein: Im Rahmen des zweiten Konzerts des Wiener Konzertvereins leitete der Komponist eine Aufführung seiner symphonischen Dichtung „Pelleas und Melisande“. Ludwig Karpath brachte es im „Neuen Wiener Tagblatt“ auf den Punkt: „Ich glaube nicht, ob es arithmetisch möglich ist, mehr Mißklänge aufeinander zu häufen, als in dieser Komposition Schönbergs.“ Ohne an Schönbergs Begabung zu zweifeln, bemerkte der Rezensent erstaunt den widerspruchslosen Beifall des Publikums. Sein frommer Wunsch, der Komponist möge zu „gesundem Musizieren heimfinden“, sollte sich nicht erfüllen. Schönberg war längst zum Spiritus Rector der musikalischen Moderne geworden. Die Spaltung des Publikums begann sich abzuzeichnen. Schüler und Weggefährten priesen ihn als Messias, Gegner verdammten, was sie als Irrweg empfanden, und unterstellten ihm Musikanarchismus. Und die Kritik sparte nicht mit Superlativen, hier wie da. Anlässlich der Uraufführung der Kammersymphonie op. 9 – wiederum im Musikverein – bezeichnete man Schönberg als „modernsten aller Modernen“ und die Kammersymphonie als das „gräulichste, was wir je in unserem Leben gehört haben“. Während das Publikum „massenweise“ den Saal verließ, wurde der Komponist von den „Stürmern und Drängern“ gefeiert (Reichspost). Schon 1898 hatte Schönberg nach einem Konzert im Bösendorfersaal notiert: „Und von da an hat der Skandal nicht aufgehört.“ 

1911 folgte im Musikverein die erfolgreiche Uraufführung des Chors „Friede auf Erden“. Das „Neue Wiener Tagblatt“ pries den kunstvoll gearbeiteten Chor, das große Thema und – als kleinen Seitenhieb auf atonale Entwicklungen Schönbergs – die Tonalität. 1913 erhielten auch die im Musikverein uraufgeführten „Gurre-Lieder“ durchaus positive Resonanz. Julius Korngold widmete dem bereits 1900/01 komponierten Werk in der „Neuen freien Presse“ eine ungewöhnlich lange Rezension und stellte dem Komponisten, wie man ihn inzwischen kennenlernen konnte, den „Schönberg älteren Bekenntnisses“ gegenüber – einen, der „vor Wohlklang nicht zurückscheut“. Man könnte meinen, dass die Entwicklung des Publikums mit jener von Arnold Schönberg nicht Schritt halten konnte. Nur wenige Wochen später eskalierte der Streit zwischen Alt und Neu schließlich im „Watschenkonzert“. Arnold Schönberg führte neben seiner Kammersymphonie und einem Werk Zemlinskys Kompositionen seiner Schüler Anton Webern und Alban Berg auf. Zu einer Aufführung von Mahlers „Kindertotenliedern“ kam es nicht mehr. Der Streit zwischen Anhängern und Gegnern kulminierte in Beschimpfungen, Geschrei, Prügelei. Schönberg brach ab und schrie in das Publikum. Wahrlich keine Sternstunde in der Geschichte des Konzertwesens und doch ein mit beeindruckendem Herzblut und Idealismus geführter Kampf um musikalische Wahrheit. 

Ein Text von Johannes Prominczel.

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